BUND-Regionalverband Westharz

Der Dioxinskandal von Oker-Harlingerode

Über 10 Jahre lang duldeten die Behörden die hohe Dioxinbelastung am Nordharz!

Zur Vorgeschichte des Dioxinskandals

Schon 1989 entdeckten Mitglieder des BUND-Regionalverband Westharz auf den Hinweis eines besorgten eingeweihten Mitarbeiters einer Kommune alarmierende Dioxinkonzentrationen im Bereich der ehemaligen Kabelverschwelungsanlage in Oker; Schlagzeile der Harzburger Zeitung vom 9.9.1989: "BUND-Kreisgruppe Goslar ließ Bodenprobe vor Harzburger Gebiet untersuchen - Sevesogift vor Bad Harzburgs Toren".

Die insbesondere wegen des Kurbetriebs stark betroffene Stadt Bad Harzburg nahm diese Untersuchungen sehr ernst und ließ ihren Rechtsanwalt Matthias Möller, ebenfalls BUND-Mitglied, im Zuge der HTV-Diskussion gezielt recherchieren. So wurde bekannt, dass die INHAK bereits im April 1988 in der Luft von Oker-Harlingerode stark überhöhte Dioxinkonzentrationen festgestellt hatte; eine Probenahme in der Luft des Schulhofes von Harlingerode ergab seinerzeit den nach Maßgabe der TA Luft sehr hohen Wert von 28 Pikogramm (pg) Dioxin.

Dieses besorgniserregende Ergebnis war der Öffentlichkeit bis dato nicht mitgeteilt worden!

Nach diesen Enthüllungen entwickelte sich eine rege Gutachtertätigkeit zum Thema. Der TÜV verfasste diverse Gutachten, und es wurde klar, dass sich überall in Oker-Harlingerode und damit an den Stadtgrenzen von Goslar und Bad Harzburg hohe Dioxinbelastungen in der Umwelt befanden.

 

Schon 1989/1990 entstand der Verdacht, dass die Kabelverschwelungsanlage nicht die einzige regionale Dioxinquelle sein könne, und es wurde u.a. vom TÜV vermutet, dass es in Oker-Harlingerode noch einen oder mehrere aktuelle Dioxinemittenten geben müsse. Wir vermuteten schon damals, dass auch die Preussag-Hütten an der bis heute akuten Dioxinemission in Oker-Harlingerode nicht unbeteiligt sein könnten. Der BUND Goslar veröffentlichte in seiner Info-Reihe einen Bericht des Chemikers Dr. Peter Regenfuss zu den umwelttechnologischen Aspekten der Räumaschenproblematik und der Zinkverhüttung in Oker-Harlingerode. Als Ergebnis konnte festgehalten werden, dass die in den Hütten praktizierten metallurgischen Prozesse durchaus zur Dioxinbildung führen können!

Dieser wissenschaftlich erhärtete Verdacht bestätigte sich später und die Dioxindiskussion flammte wieder auf, weil die Harz-Metall GmbH im Erörterungsverfahren zur seinerzeit beantragten Räumascheaufarbeitung selbst zugab, dass die metallurgischen Prozesse der Hütte PCDD/PCDF-TE-Werte von bis zu 1 Nanogramm (ng)/m3 emittieren. Diese Werte lagen bereits damals bis zu 10-fach über den gemäß 17. BImSchV für Müllverbrennungsanlagen genehmigten Werten von 0,1 ng/m3 Abluft.

Zwar ist der Hauptverursacher der hohen Dioxinemissionen der sog. "Große Drehrohrofen" der Harz-Metall GmbH, doch gibt es weitere Emittenten! So stellte der TÜV in seinem "Schornsteingutachten" von 1992 fest, dass auch folgende Betriebe bzw. Betriebsteile Dioxine emittieren bzw. emittierten:

  • H.C. Starck GmbH (Fulminaofen)

  • Grillo Zinkoxid GmbH (Zinkproduktionsverkoker)

  • Harzer Zink GmbH (Zinkschrottschmelze)

  • Harz-Metall GmbH (Bleiproduktion und Bleischrottschmelze)

Die Wahrheit war jedoch noch viel schlimmer. 1999 wurde durch die Klage des gesundheitlich geschädigten Ingenieurs Winfried R. Karsten und Recherchen der GZ bekannt, dass die Emissionswerte im Normalbetrieb (!) zwischen 0,6 und 3,3 ng/m3 Abluft liegen; der hochgerechnete Dioxin-Jahresausstoß liegt damit bei 1,5 g (GZ v. 3.6.1999).

Doch damit nicht genug! In seinem "Gutachten zur Bodenbelastung durch PCDD/PCDF im Raum Oker-Harlingerode - Untersuchungen von Schornsteinablagerungen" kam der TÜV Hannover/Sachsen-Anhalt bereits 1992 zu dem Schluss, dass es weitere Dioxinemittenten in Oker-Harlingerode gab bzw. gibt. Dioxinbelastungen wurden auch in den Kaminen der Bleiproduktion und der Bleischrottschmelze von Harz-Metall GmbH und auch in Schornsteinen der Firmen H.C. Starck und Harzer Zink GmbH festgestellt.

Vereinfacht ausgedrückt stehen in Oker-Harlingerode somit bereits jetzt weit mehr als 10 Müllverbrennungsanlagen mit allen entsprechenden Auswirkungen auf die Umwelt und die menschliche Gesundheit!

Hierdurch und nicht nur infolge der ebenfalls sehr hohen Schwermetallbelastung erklärt sich möglicherweise so manche von Ärzten in den letzten Jahren festgestellte Anomalie der menschlichen Gesundheit in Oker-Harlingerode und Umgebung! Keinesfalls dürfen in einem so stark durch Schwermetalle  und Dioxine belasteten Gebiet wie dem Raum zwischen Goslar und Bad Harzburg neue Belastungen hinzukommen, und die Firmen sowie die Politik sind aufgefordert, die aktuelle Dioxinemission im Interesse der Menschen schnellstmöglich drastisch zu minimieren!

Kleine mündliche Anfrag der Abg. Dorothea Steiner (GRÜNE) im Niedersächsischen Landtag, 1999

Betr: Dioxinbelastung durch die Firma Harz Metall GmbH in Oker, Stadt Goslar

Ein Vertreter der Firma Harz Metall GmbH hat in einer Sitzung des Umweltausschusses der Stadt Goslar mitgeteilt, dass der Stadtteil Oker mit jährlich 1,5 Gramm Dioxin belastet werde. Der hochgiftige Stoff wird von der Drehrohrofenanlage der Firma freigesetzt. Laut Presseberichten lag im Januar dieses Jahres beim Betrieb der Anlage der gemessene Spitzenwert in der Abluft des Ofens mit 3,34 Nanogramm pro Kubikmeter um mehr als das 30fache über dem in der Betriebsgenehmigung vorgegebenen Zielwert von 0,1 Nanogramm pro Kubikmeter Luft. Die Bevölkerung im Raum Goslar-Oker/Harlingerode ist zu Recht beunruhigt und befürchtet gesundheitliche Beeinträchtigungen durch den Betrieb bei Harz Metall.

Nach Angaben des Umweltbundesamtes liegen die derzeitigen Dioxin-Emissionen aller bundesdeutschen Abfallverbrennungsanlagen bei weniger als 2 Gramm TE pro Jahr. Seit 1990 konnten die Emissionen der Abfallverbrennungsanlagen von 400 Gramm TE pro Jahr durch technische Maßnahmen auf diesen Wert gesenkt werden. Die geringe Akzeptanz für Müllverbrennungsanlagen in der Bevölkerung war in den 80er Jahren darin begründet, dass sie als Dreck- und Giftschleudern klar zu identifizieren waren und die Betreiber daher unter enormem Rechtfertigungsdruck standen. Seit dem 1.12. 1996 müssen alle Müllverbrennungsanlagen den Grenzwert von 0,1 Nanogramm (ng) je Kubikmeter Abluft einhalten. Dieser strenge Grenzwert ist 1990 als Folge einer intensiven öffentlichen Fachdiskussion über die Gefährlichkeit von Dioxinen festgesetzt worden. Die Katastrophe von Seveso war hier letztlich der Auslöser. Dioxine gelten nachweislich als krebserregend, schädigen das Immun- und Nervensystem und verändern das Erbgut. Die akuten Folgen der Dioxinvergiftung nach dem Seveso-Unfall sind eindrucksvoll dokumentiert. Die tödliche Dosis des Ultragiftes Dioxin wird beim Menschen auf ein tausendstel Gramm Dioxin pro Kilo Körpergewicht geschätzt. Der genannte Grenzwert für Müllverbrennungsanlagen wurde jedoch nicht für industrielle und gewerbliche Anlagen etwa der Stahl- und Metallindustrie gefordert. In der Diskussion über die Einführung eines Grenzwertes für andere thermische Anlagen wurden Argumente von der Qualität angeführt, dass der Zusammenhang von Ursache und Wirkung der schädigenden Wirkung von Dioxinen noch nicht hinreichend nachweisbar sei, so dass gerichtsfeste Grenzwerte für industrielle und gewerbliche Anlagen, bei denen Dioxine emittiert würden, noch nicht festgesetzt werden könnten. Die Umweltministerkonferenz hat als praxisuntauglichen Kompromiß im November 1994 auf der Grundlage eines Berichts einer Arbeitsgruppe unter Leitung des Umweltbundesamtes ein gestuftes Anforderungskonzept zur Emissionsbegrenzung von Dioxinen bei industriellen und gewerblichen Anlagen beschlossen. Darin ist insbesondere ein Emissions-Zielwert von 0,1 ng TE pro Kubikmeter Abgas für Anlagen mit einem Abgasvolumenstrom von mehr als 5.000 Kubikmeter je Stunde festgelegt. Mit dieser Entscheidung waren die Betreiber von Sinteranlagen und anderer Metallgewinnungs- und verarbeitungsbetriebe in der BRD aus der Verantwortung für mehr Gesundheits- und Umweltschutz vorläufig entlassen.

Arbeitsgruppe DIOXIN

Vor dem Hintergrund der Dioxin-Diskussion auf Bund-Länder-Ebene Anfang der 90er Jahre hat die damalige rot/grüne Landesregierung ein Zeichen in die richtige Richtung gesetzt, mit dem Ziel doch noch einen bundesweit gültigen Grenzwert durchzusetzen. Mit Erlass vom 17.12.1993 wurde für Niedersachsen ein Zielwert von 0,1 ng/m3 Abluft - entsprechend der geltenden Anforderung an Müllverbrennungsanlagen - für industrielle und gewerbliche Anlagen der Metallindustrie festgesetzt. Dieser positive Schritt wurde jedoch bereits im März 1994 konterkariert. Mit Bescheid vom 17. März 1994 wurde der Georgsmarienhütte GmbH eine Genehmigung zur Emission von 0,3 ng/m3 Abluft durch die Bezirksregierung Weser-Ems erteilt. Diese Entscheidung erfolgte in der Landtagswahlkampfzeit ohne Absprache mit dem grünen Koalitionspartner und dem damaligen grünen Staatssekretär.

Niedersachsen hat Ende des Jahres 1993 einen Anspruch auf mehr Gesundheits- und Umweltschutz mit dem besagten Erlaß formuliert; hieran muss sich das Handeln auch der derzeitigen Landesregierung noch messen lassen. 1996 wurde der Betrieb des Drehrohrofens auf dem Gelände der Harz Metall GmbH genehmigt. Dabei wurde versäumt der Firma einen Termin vorzugeben, wann der Richtwert von 0,1 ng/m3 einzuhalten ist. Die Aufarbeitung der Räumaschehalde in Oker-Harlingerode ist eine unbestritten notwendige Maßnahme zur Bewältigung der Altlasten im traditionellen Bergbaugebiet Harz. Die Landesregierung steht in der Pflicht, dafür Sorge zu tragen, dass dabei eine gesundheits- und umweltschonende Verfahrenstechnik angewandt wird.

Ich frage die Landesregierung:

1. Mit welchen Schritten/Maßnahmen beabsichtigt die Landesregierung kurzfristig eine Gefährdung der Gesundheit der Bevölkerung und eine Beeinträchtigung der Umwelt durch den Betrieb des Drehrohrofens bei der Harz Metall dauerhaft auszuschließen?

2. Beabsichtigt die Landesregierung Anordnungen oder andere Maßnahmen zu treffen, um sicherzustellen, dass der Zielwert von 0,1 ng pro Kubikmeter Abluft bei der Anlage der Firma Harz Metall dauerhaft erreicht wird?

3. Wie beurteilt die Landesregierung die Tatsache, dass seit Ende 1993, dem Dioxinerlass, Mitte 1999 Anlagen in Niedersachsen noch immer nicht die Vorgaben des Zielwertes für Dioxin dieses Erlasses einhalten?

Dorothea Steiner

 

Zu Beginn des Jahres 2000 hat ein Vertreter der Goslarer Umweltverbände Akteneinsicht in Sachen der überhöhten Dioxinemissionen durch die ehemalige Metaleurop-Firma Harz-Metall GmbH in Oker-Harlingerode bei der Bezirksregierung Braunschweig genommen.

Dabei stellte sich heraus, dass die Harz-Metall GmbH und die Bezirksregierung Braunschweig in den Diskussionen der vergangenen Monate oder bei Anfragen die Existenz von mindestens zwei weiteren Dioxin-Messungen mit exorbitant hohen Werten bei der Drehrohrofenanlage auf dem Hüttengelände verschwiegen. Sogar der Niedersächsische Landtag wurde darüber falsch informiert!

Ging man bisher von einem gemessenen Höchstwert von 3,3  ng/m3 Abluft aus – der behördlich vorgegebene Zielwert liegt bei 0,1 ng – so wurden im November 1998 17,9 Nanogramm und im Dezember 1998 9,4 ng gemessen. Ergebnisse, die ein sofortiges Einschreiten der Behörden hätten auslösen müssen!

Bei Anfragen und öffentlichen Gesprächsrunden zur Dioxin-Problematik, u.a. mit dem heutigen Ministerpräsidenten Sigmar Gabriel, blieben in Anwesenheit von Behördenvertretern die dramatischen Werte unerwähnt.

 

Waren 17 ng TCDD die Normalemission am Drehrohrofen?

Nachdem bereits der seinerzeitige Ministerpräsident Sigmar Gabriel angesichts hoher Dioxinwerte am Drehrohrofen der Harz-Metall GmbH die Unterscheidung der Behörden zwischen Versuchs- und Normalbetrieb als „spitzfindig“ bezeichnet hatte, brachte auch der Messbericht von 1998, der dem BUND in Auszügen vorliegt, mehr Fragen als Antworten. Unter dem Titel „Untersuchungen an der Wälzrohranlage“ berichtet der 1995 von der HMG beauftragte Prof. Dr. Joachim Krüger (RWTH Aachen) über eine „zweite“ Messkampagne am 1./2. September 1998. Offenbar gab es bereits im Juli 1997 Messungen, über verwendete Parameter und ermittelte Werte ist bisher nichts bekannt.

Im September 1998 wurden nach Krüger zwei Betriebszustände betrachtet, der „Normalbetrieb“ und der „Betrieb unter Einblasen von Pressluft in die Staubkammer“, also unter Erhöhung des Abluftvolumens bei (absolut) gleich bleibender Schadstoffmenge. Im Normalbetrieb wurde der hohe Dioxinwert von 17,856 ng/mgemessen, der sich einen Tag später unter Pressluftzufuhr auf 9,412 ng verringerte.

Es ist also zu befürchten, dass die extrem hohen Messwerte bei der HMG der technische Normalfall waren!

"Schutzgemeinschaft Dioxin" gegründet Schnellstmöglicher Einbau einer Dioxin-Filteranlage gefordert

Der BUND-Regionalverband Westharz, der Umweltmediziner Dr. Wolfgang Baur (Immenrode), der sich im Rahmen des AK Umwelt des Ärztevereins seit langer Zeit für die Interessen der medizinischen Umweltvorsorge im Nordharzgebiet engagiert, die Bürgerinitiative Goslar, die neugegründete Goslarer Initiative "Mütter gegen Dioxin" und betroffene Einzelpersonen arbeiten gemeinsam am gleichen Thema und erhöhen den Druck auf die HMG, den Drehrohrofen mit einem Dioxinfilter nachzurüsten und auf diese Weise die Arbeitsplätze in Oker zukunftssicherer zu machen!

Daher schlossen sich die BUND-Kreisgruppe Goslar und die genannten Verbände und Initiativen am 19.3.2000 zur "Schutzgemeinschaft Dioxin" zusammen und machten mit anwaltlicher Unterstützung so lange gemeinsam Druck, bis die zuständigen Behörden das Dioxinproblem in Goslar-Oker und Bad Harzburg-Harlingerode endlich im Griff hatten!

Die Schutzgemeinschaft Dioxin fordert aus Gründen der Gesundheitsvorsorge weiterhin eine Dioxinstudie für Oker mit Untersuchungen in Blut, Boden, Wasser und Luft, kleinräumige epidemiologische Erhebungen zu Gesundheitsstörungen und Lebenserwartung sowie im Hinblick auf örtliche Vorbelastungen die Ausdehnung von Analysen etwa auf PCB und Dibenzofurane.

Die HMG drohte zwischenzeitlich mit Betriebsschließung; diese Drohung dürfte auch ein Manöver gewesen sein, von der seinerzeitigen Konzernmutter Preussag bzw. der öffentlichen Hand weitere Millionen zu erhalten, um einen lukrativen Betrieb sicherzustellen.

Die Filteranlage arbeitet - hoffentlich effektiv...

Seit dem 19.1.2001 ist der seit langem geforderte Dioxin-Filter am Drehrohrofen der Harz Metall GmbH nun endlich offiziell in Betrieb. Wir werden kritisch beobachten und ggf. auch nachmessen, wie effektiv der Filter arbeitet und ob es weitere Dioxinquellen in Goslar-Oker gibt! 

BUND nimmt Akteneinsicht im Gewerbeaufsichtsamt Braunschweig vor – zeitweise massiv erhöhte Dioxinwerte im Jahr 2017 festgestellt

2019 - BUND nimmt Akteneinsicht im Gewerbeaufsichtsamt Braunschweig vor – zeitweise massiv erhöhte Dioxinwerte im Jahr 2017 festgestellt 

Siehe Aktivgruppe Gesunde Luft